„Leniency Plus“ erlaubt zusätzliche Bußgeldreduktion für verspätete Kronzeugen
01/19/2015Neues polnisches Kartellrecht am 18.1.2015 in Kraft getreten
Am 18.1.2015 ist das neue polnischen Wettbewerbs- und Verbraucherschutzgesetz in Kraft getreten. Das Gesetz enthält eine Vielzahl wichtiger Neuerungen: Einführung der Möglichkeit, natürliche Personen mit einer Kartellbuße zu belegen; Einführung eines Settlement-Verfahrens zur beschleunigten Beendigung von Kartellverfahren; Überführung des ein- in ein zweiphasiges Fusionskontrollverfahren; Neuordnung der Ermittlungsbefugnisse und -instrumente der polnischen Kartellbehörde UOKiK; Verlängerung der Frist, in der Kartellverstöße verfolgt werden können, von einem auf fünf Jahre).
Auf besonderes Interesse bei den Kartellbehörden der übrigen Mitgliedsstaaten der EU dürfte das vom polnischen Gesetzgeber verabschiedete Leniency-Plus-Programm stoßen. Es ergänzt die bestehende Kronzeugenregelung um ein aus dem US-amerikanischen Kartellrecht entlehntes Instrument. Das Leniency-Plus-Programm erlaubt es dem zweiten oder dritten Kronzeugen, denen anders als dem ersten Kronzeugen kein 100prozentiger Erlass der Geldbuße gewährt wurde, noch einen zusätzlichen Abschlag auf die – bereits ermäßigte – Geldbuße zu erlangen. Voraussetzung ist, dass das betroffene Unternehmen zusätzlich zu seiner Beteiligung an dem von dem ersten Kronzeugen bereits aufgedeckten Kartell die Beteiligung an einem weiteren, der Kartellbehörde noch unbekannten Kartellverstoß offenlegt. Im Hinblick auf dieses zweite Kartell erhält der Leniency-Plus-Kandidat die normale 100prozentige Ermäßigung. Hinzu kommen weitere 30 Prozent (!) Ermäßigung der Kartellbuße für das erste Kartell. Die Höhe des Abschlags ist unabhängig von der Bedeutung des weiteren aufgedeckten Kartells.
Das US-amerikanische Kartellrecht, das ebenfalls die Belohnung im Sinne von Leniency Plus kennt, ist strenger. Sieht der reuige Kartellant davon ab, zugleich sämtliche weiteren Kartellverstöße, an denen er beteiligt ist, offenzulegen, wird dieses Unterlassen als erschwerender Umstand gewertet und hat eine Erhöhung der ohnehin fälligen Geldbuße zur Folge.
Unternehmen dürften die Einführung des Leniency-Plus-Programms durch den polnischen Gesetzgeber begrüßen. Sie gewinnen eine weitere Möglichkeit, die Höhe einer ihnen drohenden Geldbuße zu reduzieren. Auch aus Sicht der Kartellverfolgung (genauer: der damit betrauten Behörden) dürfte Leniency Plus eine willkommene Maßnahme sein. Sie dürfte die Aufdeckungsquote noch einmal ansteigen lassen. Dennoch sind Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahme angebracht. Es ist kaum zu rechtfertigen, weshalb größere Mehr-Produkt-Unternehmen gegenüber kleineren Ein-Produkt-Unternehmen in dieser Weise bevorteilt werden. Nur erstere haben die Chance, von der Möglichkeit des Leniency Plus Gebrauch zu machen. Manche Autoren äußern zudem die Befürchtung, Großunternehmen würden unter Geltung eines Leniency-Plus-Regimes zusätzliche Kartelle schließen, um im Notfall auf die neue Option zurückgreifen zu können („Kartelle als Versicherung gegen Geldbußen“). Naheliegender erscheint die Sorge, dass Unternehmen sich von der neuen Möglichkeit dazu herausgefordert fühlen, wettbewerblich harmlose Formen etwa des Informationsaustausches in einer Weise aufzubauschen, dass daraus in den Augen der Kartellbehörde eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung wird. Sie erlaubt es den vermeintlichen Kronzeugen, in den Genuss der zusätzlichen Reduktion auch für das erste Kartell zu kommen. Ein vergleichbares Verhalten, nämlich das „Erfinden“ weiterer Einzelheiten durch den zweiten und dritten Kronzeugen, die ebenfalls auf eine Bußgeldreduktion hoffen, meint die Praxis schon heute auch ohne Leniency Plus beobachten zu können.
Eine Übersetzung von Herrn Dr. Artur Fabisch für die einschlägigen Neuregelung (Art. 113d) sowie weitere Vorschriften betreffend das polnische Bonus-Programm findet sich hier.
Literatur:
Martyniszyn, Leniency (Amnesty) Plus: A Building Block or a Trojan Horse?, 3(1) Journal of Antitrust Enforcement 2015 (Forthcoming) = http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2500843
Martyniszyn/Bernatt, On Convergence with Hiccups: Recent Amendments on Poland’s Competition Law, E.C.L.R. 2015, 8 ff.
F. B.