Bien/Harke, Neues Recht für alte Fälle? - Der intertemporale Anwendungsbereich der Verjährungshemmung gemäß § 33 Abs. 5 GWB 2005
09/13/2013Erschienen in ZWeR 2013, S. 312 - 345
Der Beitrag befasst sich mit dem zeitlichen Anwendungsbereich von § 33 Abs. 5 GWB 2005, der eine Hemmung der Verjährung von Kartellschadensersatzansprüchen durch die Einleitung eines kartellbehördlichen Verfahrens vorsieht. Soll diese Regelung auch für Ansprüche aus Kartellverstößen gelten, die schon vor Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Juli 2005 zum Gegenstand eines Verfahrens geworden und auch schon durch eine Verfügung der Kartellbehörde sanktioniert worden sind? Die Verfasser verneinen dies und beziehen damit die Gegenposition zu der Ansicht von Wagner/von Olshausen (ZWeR 2013, 121).
Inhaltsübersicht
I. Einführung
1. Problemstellung
2. Meinungsstand
2.1 Literarische Stellungnahmen vor Verkündung des ORWI-Urteils
2.2 Rechtsprechung insbesondere des BGH im Fall ORWI: Keine Anwendbarkeit von
§ 33 GWB 2005 auf Altfälle
2.3 Zwischenergebnis
2.4 Literarische Auseinandersetzung mit dem ORWI-Urteil im Hinblick auf die Frage
nach der intertemporalen Anwendbarkeit von § 33 Abs. 5 GWB
2.5 Bedeutung des obiter dictums im ORWI-Urteil des BGH
2.6 Ergebnis
3. Vorgehen
4. Das Erfordernis der Auslegung neu geschaffener Normen im Hinblick auf ihre zeitliche Anwendbarkeit
II. Auslegung der Vorschrift § 33 Abs. 5 GWB 2005 im Hinblick auf die Frage nach ihrem intertemporalen Anwendungsbereich
1. Wortlaut
1.1 Präsentische Formulierung der Bestimmung spricht gegen ihre Anwendbarkeit auf
Altfälle
1.2 Vergleich mit der differenzierten Formulierung von §§ 34 (Perfekt) einerseits,
34a GWB 2005 (Präsens) andererseits
1.3 Die Bedeutung der Wahl des Tempus durch den Gesetzgeber für die Frage der
intertemporalen Anwendbarkeit neu eingeführter Regelungen
1.4 Ergebnis
2. Systematik
2.1 Bezugnahme auf die neu gefasste und erst am 1. Juli 2005 in Kraft getretene
Anspruchsgrundlage für Schadensersatz § 33 Abs. 3 GWB 2005
2.2 Keine Lückenhaftigkeit von § 131 in Bezug auf § 33 Abs. 5 GWB 2005
3. Zweck
3.1 Rückwirkende Abschreckung durch rückwirkende Erleichterung des privaten
Rechtsschutzes nicht möglich
3.2 Stärkung des privaten Rechtsschutzes soll Anmeldesystem mit Erlaubnisvorbehalt
ablösen
3.3 Zweck des neu eingeführten Hemmungstatbestandes insbesondere
3.3.1 Kein Gleichlauf zwischen Bindungs- und Hemmungswirkung erforderlich
3.3.2 Geringe praktische Bedeutung von § 33 Abs. 4 GWB 2005
3.3.3 Zur Bedeutung des neuen Hemmungstatbestands in der Praxis
3.4 Keine Schutzbedürftigkeit der Kartellgeschädigten nach Abschluss des
Behördenverfahrens
III. Vergleich mit anderen neu eingeführten Hemmungstatbeständen
1. Neue Hemmungstatbestände mit Rückwirkung
1.1 Verjährungshemmung zum Schutz vor Anspruchsverlust
1.2 Verjährungshemmung als Anreiz zur außergerichtlichen Konfliktlösung
2. Neue Hemmungstatbestände ohne Rückwirkung
3. Ergebnis
IV. Art. 169 EGBGB als Grundlage eines Analogieschlusses
1. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Fristveränderung
2. Rechtsprechung des Reichsgerichts
3. Analoge Anwendung von Art. 169 EGBGB jenseits der Fristveränderung?
"V. Ergebnis
Der intertemporale Anwendungsbereich von § 33 Abs. 5 GWB 2005 lässt sich unmittelbar durch Auslegung der Vorschrift nach Wortlaut, Systematik und Zweck ermitteln. Die dort angeordnete Hemmung der Verjährung wird jedenfalls nicht durch solche Kartellverfahren ausgelöst, die vor dem Inkrafttreten der Norm am 1. Juli 2005 eingeleitet und mit einer kartellbehördlichen Verfügung abgeschlossen worden sind (Altfälle dritten Grades). Im Übrigen zeigt der Vergleich zu anderen neu eingeführten Hemmungstatbeständen, dass der Gesetzgeber nicht zufällig von einer ausnahmsweisen Rückwirkung abgesehen hat. In den Fällen, in denen der Gesetzgeber durch eine besondere Überleitungsvorschrift die Rückwirkung vorgesehen hat, verfolgt der neu geschaffene Hemmungstatbestand einen anderen Zweck. Schließlich wurde die Vorschrift des Art. 169 EGBGB analog bislang nur für Fälle der Fristverkürzung und -verlängerung, nicht aber für neu eingeführte Hemmungstatbestände herangezogen." (Bien/Harke, ZWeR 2013, 312, 344)