Innenregress gegen Manager nach Kartellverstoß
05/03/2014Arbeitsgericht Essen weist Klage gegen ThyssenKrupp-Vorstand wegen Schienenkartells u. a. ab
Die Urteile des ArbG Essen v. 19.12.2013 (veröffentlicht am 14.4.2014, Pressemeldung) betrifft die praktisch wichtige Frage, ob, unter welchen Umständen und in welcher Höhe ein Unternehmen, das wegen eines selbst begangenen Kartellverstoßes einen Vermögensschaden (insbes. Kartellbuße und Verpflichtung zum Kartellschadensersatz gegenüber Dritten) erlitten hat, Regress bei den verantwortlichen Managern nehmen kann.
Hintergrund des Verfahrens ist v. a. das vom Bundeskartellamt mit Bußgeldbescheiden vom 3. Juli 2012 (B 12-11/11 - Vertrieb von Schienen und anderen Oberbaumaterialien gegenüber der deutschen Bahn) und 18. Juli 2013 (B 12-16/12 und B 12-19/12 - wettbewerbsbeschränkende Absprachen von Oberbaumaterialien im Schienen und Gleisbereich auf dem Privatmarkt) geahndete sog. Schienenkartell. Danach hatten Tochter- und Enkelgesellschaften des ThyssenKrupp-Konzerns Bußgelder i.H.v. 103 Mio. und 88 Mio. € zu bezahlen. Die drei Urteile betreffen sämtlich Klagen verschiedener Unternehmen des ThyssenKrupp-Konzerns gegen den früheren Bereichsvorstand bzw. Geschäftsführer Uwe Sehlbach. Als Anspruchsgrundlage in Betracht kamen vorliegend §§ 280, 619 a BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag und § 43 Abs. 2 GmbHG.
In dem konkreten Fall verneinte das Arbeitsgericht bereits die erforderliche (schuldhafte) Pflichtverletzung des beklagten Managers.
Von besonderem Interesse sind die hilfsweisen Erwägungen des Arbeitsgerichts. Sie beanspruchen Gültigkeit über den Einzelfall hinaus:
1. Kein Anscheinsbeweis für Pflichtverletzung
Die bloße Nennung eines Managers als Nebenbetroffener in einem Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts begründet nach Ansicht des ArbG keinen Anscheinsbeweis gegen diese Person. Eine entsprechende Wirkung kommt ihm nur gegenüber dem Unternehmen zu, gegen das das Kartellverfahren geführt wurde. Zutreffend verweist das ArbG auf die fehlende Einflussmöglichkeit des Nebenbetroffenen, der insbesondere keine Rechtsmittel einlegen kann (1 Ca 658/13, Rz. 134). Hinzuzufügen ist, dass der Angestellte sich zumeist auch in einem Interessenkonflikt befindet: er muss im Rahmen des Kartellverfahrens einerseits die Interessen seines Arbeitgebers wahren, andererseits wird er die Konsequenzen seiner Einlassungen für die eigene Verantwortlichkeit (persönlich im Hinblick auf ein OWiG-Verfahren, gegenüber dritten Kartellgeschädigten und - im Fall des Innenregresses - gegenüber dem Arbeitgeber selbst) im Blick behalten. Die in § 33 Abs. 4 GWB 2005 angeordnete Bindungswirkung wird vom ArbG - zu Recht - gar nicht erwähnt. Nach richtiger Auffassung betrifft die Vorschrift allein den Fall der Außenhaftung gegenüber anderen Marktbeteiligten, nicht aber den Innenregress gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Hingewiesen sei noch auf das Urteil des KG Berlin in Sachen "Transportbeton" vom 1.10.2009. Das KG stützte sich in seinem Urteil maßgeblich auf einen Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes, der zwar das streitgegenständliche Kartell betraf, das beklagte Unternehmen aber nicht einmal erwähnte. Anders als das ArbG verurteilte es das bekl. Transportbetonunternehmen zu Schadensersatz (Fall der Haftung gegenüber dritten Abnehmern der Kartellanten). Zu Recht unerwähnt bleibt in den Urteilen des ArbG auch die in der US-amerikanischen Literatur ( Easterbrook/Fischel, 80 Mich. L. Rev. 1155, 1168 n. 32 (1982) ) vertretene Theorie des "efficient breach of public law".
2. Kein eigener Anspruch der Konzernmutter
Die Muttergesellschaft kann keinen eigenen Schadensersatz wegen der behaupteten Entwertung ihrer Gesellschaftsanteile geltend machen. In Betracht käme lediglich ein Anspruch auf Schadenersatz durch Leistung an die betroffene Tochtergesellschaft (1 Ca 3569/12, Rz. 131).
3. Schadenshöhe steht noch nicht fest
Darüber hinaus steht nach Ansicht des ArbG die endgültige Entwertung der Gesellschaftsanteile der Konzernmutter solange nicht fest, wie über die von der Tochtergesellschaft selbst gegenüber dem Beklagten geltend gemachten Schadenersatzansprüche noch nicht rechtskräftig entschieden ist (1 Ca 658/13, Rz. 97).
4. Auswirkungen des Versicherungsschutzes auf Schadenshöhe
Eine Minderung des Schadens würde nach Ansicht des ArbG auch daraus resultieren, dass die Klägerin oder ihre Tochtergesellschaften Leistungen aus einer bestehenden Versicherung erhalten. Das ArbG nennt eine Versicherungssumme in Höhe von 300 Millionen Euro (1 Ca 658/13, Rz. 97). Das überzeugt mindestens auf den ersten Blick nicht. Versicherungsleistungen sind auf den Schadensersatzanspruch idR nicht anzurechnen, "der Geschädigte hat sie sich durch die Zahlung der Prämien erkauft; dem Schädiger gebührt der Vorteil daher nicht" (Schiemann, in Staudinger, BGB, 2005, § 249 Rn. 161 zu Lebensversicherungen). Zudem mag man sich fragen, welcher Versicherungsvertrag (vorsätzlich begangene!) Kartellverstöße versichert.
5. Vorteilsausgleichung zugunsten des Managers
Schließlich verweist das ArbG auf die (illegalen!) Gewinne, die die Tochtergesellschaft aufgrund des Kartellverstoßes erzielen konnte. Die entsprechenden Mehreinnahmen müssten nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung von dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch abgezogen werden. Die mögliche Präventivfunktion von § 43 Abs. 2 GmbHG stehe der Anwendung der Vorteilsausgleichung nicht entgegen (1 Ca 658/13, Rz. 97).
6. Zusätzlicher Reputationsschaden im speziellen Fall nicht messbar
Das ArbG verneint einen messbaren Reputationsschaden mit der bemerkenswerten Begründung, die hier in Frage stehenden, den Verantwortungsbereich des bekl. Managers betreffenden Kartellrechtsverstöße hätten angesichts "diverserer [sic!] Kartellrechtsverstöße in Konzernunternehmen der Klägerin" keine besondere Bedeutung (1 Ca 3569/12, Rn. 132).
7. Bonusantrag hätte Reputationsschaden nicht verhindern können
Im Hinblick auf den der Kl. und ihren Tochtergesellschaften angeblich entstandenen Reputationsschaden verneint das ArbG zudem auch die erforderliche Kausalität zwischen unterstellter Pflichtverletzung und Schaden. So verweist das ArbG darauf, dass auch ein (rechtzeitiger) Bonusantrag eine negative Berichterstattung zur Folge gehabt hätte. Dasselbe gelte für die in diesem Fall ebenfalls entstandenen Rechtsverfolgungskosten (1 Ca 658/13, Rz. 143).
8. Schadensersatzpflicht natürlicher Personen auf 1 Mio. € begrenzt
Überzeugend verweist das ArbG schließlich auf die Vorschrift § 81 Abs. 4 GWB, in der der Gesetzgeber die maximale Bußgeldhöhe im Fall natürlicher Personen auf 1 Million Euro begrenzt. Das Gericht entnimmt der Regelung das Telos, eine Existenzvernichtung der betroffenen Person zu vermeiden. Diesem Gesetzeszweck würde es zuwiderlaufen, die einem Kapitalunternehmen auferlegte, nach dessen individueller Leistungsfähigkeit (bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes des Konzerns!) berechnete Geldbuße über den Innenregress letztlich auf eine natürliche Person umzuleiten (1 Ca 657/13, Rz. 145).