Deutsch-schweizerisch-griechisches Seminar vom 4.–10. Oktober 2015 in Thessaloniki
10.10.2015Von Prof. Dr. Michael Sonnentag und Henri Weber
In der letzten vorlesungsfreien Woche vor Beginn des Wintersemesters 2015/2016 fand an der Aristoteles-Universität Thessaloniki ein gemeinsames Seminar der juristischen Fakultäten der Universitäten Thessaloniki, Würzburg und Zürich zu dem Thema „Ehescheidung, Scheidungsfolgen, nichteheliche Lebensgemeinschaften und registrierte Partnerschaften im Zivil-, Kollisions- und Familienverfahrensrecht“ statt, das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst unterstützt wurde. Das Seminar hat bereits eine lange Tradition, da es zwischen den Universitäten Thessaloniki und Zürich bereits seit mehr als zwanzig Jahren besteht. Es wurde durch Professor Dr. Achilles Koutsouradis von der Aristoteles-Universität Thessaloniki und Professor Dr. Isaak Meier von der Universität Zürich ins Leben gerufen und fand bislang abwechselnd in Zürich und Thessaloniki statt. Seit dem Jahre 2015 wird es auf Initiative von Professor Dr. Florian Bien von der Universität Würzburg nicht mehr nur zwischen diesen beiden Universitäten, sondern auch unter Mitwirkung der Universität Würzburg organisiert und veranstaltet. Insgesamt beteiligten sich an dem Seminar vom 4. Oktober bis 10. Oktober 2015 in Thessaloniki 54 Personen, darunter 38 Studenten aus Thessaloniki, Würzburg und Zürich, mehr als zehn Professoren dieser drei Universitäten sowie einer zypriotischen Universität, des Weiteren Privatdozenten und Wissenschaftliche Mitarbeiter der Universitäten Würzburg, Zürich und Thessaloniki. Aus Würzburg nahmen an dem Seminar neben Studenten und Wissenschaftlichen Mitarbeitern Professor Dr. Florian Bien, Inhaber des Lehrstuhls für globales Wirtschaftsrecht, internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Bürgerliches Recht, sowie Professor Dr. Michael Sonnentag, Inhaber der Professur für Privatrecht am Institut für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht, teil.
Das Seminar sollte nicht nur dem akademischen Dialog dienen, sondern auch kulturellen Interessen und dem persönlichen Austausch. Daher reisten die Seminarteilnehmer bereits sonntags an und blieben eine ganze Woche. Zum Geist des Seminares und der Förderung der interkulturellen Kommunikation gehörte es auch, dass die Studentinnen und Studenten aus Zürich und Würzburg bei ihren griechischen Kommilitonen für die Zeit des Seminars Unterkunft fanden und sehr gastfreundlich aufgenommen wurden.
Am Vormittag des ersten Seminartages erhielten die Seminarteilnehmer durch den Besuch von zwei Gerichtsverhandlungen in Unterhaltssachen, die in Griechenland – im Gegensatz zum deutschen und Schweizer Recht – öffentlich geführt werden, einen ersten Einblick in die juristische Praxis. Interessant für die Teilnehmer war insbesondere, dass die Parteien im griechischen Verfahren – im Gegensatz zum Beispiel zum deutschen Unterhaltsverfahren – nicht geladen werden, weil dies in Griechenland unüblich ist. Trotz der sichtbaren Unterschiede – insbesondere werden in Griechenland nach wie vor zahlreiche Verfahren auf die gleiche Uhrzeit terminiert und wesentlich mehr Zeugen vernommen als im deutschen Zivilprozess – wurde die ähnliche Struktur des griechischen Unterhaltsverfahrens im Vergleich zum deutschen deutlich sichtbar. Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass die griechische Zivilprozessordung – ebenso wie das griechische Zivilgesetzbuch – auf der deutschen ZPO bzw. dem BGB beruhen.
Nach dem Besuch der beiden Gerichtsverhandlungen gab Frau Professor Dr. Kalliope Makridou von der Universität Thessaloniki eine kurze Einführung in das griechische Zivilprozessrecht und die aktuelle Reform der griechischen Zivilprozessordnung, die am 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist. Angesichts überlanger Verfahrensdauern sieht die reformierte Zivilprozessordnung vor, dass Verfahren in weit größerem Umfang als bisher schriftlich geführt bzw. vorbereitet werden. Die Vernehmung von Zeugen wird im Vergleich zu der bis 2015 geltenden Rechtslage, nach der in fast jedem Prozess Zeugen vernommen wurden, deutlich eingeschränkt. In der anschließenden Diskussion brachten insbesondere Frau Professor Dr. Ingrid Jent-Sørensen von der Universität Zürich und Professor Dr. Michael Sonnentag von der Universität Würzburg Bedenken an, ob es nicht sinnvoll sei – so wie dies zum Beispiel im deutschen Zivilprozess die Regel ist –, im Wege einer weiteren Reform das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen, damit das Gericht einen unmittelbaren Eindruck von diesen erhält, da insbesondere durch diese Maßnahme eine deutliche Verfahrensbeschleunigung erreicht werden könnte.
Bei dem anschließenden Empfang durch den Vorstand des Anwaltsvereins von Thessaloniki hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, berufliche Perspektiven und die aktuellen Herausforderungen für Rechtsanwälte in Griechenland zu diskutieren. Das auch in Deutschland nicht unbekannte Problem der sehr hohen Anzahl von Rechtsanwälten stellt sich in Griechenland als noch viel gravierender dar – bezogen auf die Einwohnerzahl gibt es in Griechenland fast doppelt so viele zugelassene Rechtsanwälte wie in Deutschland –, vergrößert den finanziellen Druck vieler Rechtsanwälte und erschwert den Berufseinstieg für Absolventen der juristischen Fakultäten in Griechenland.
Am Nachmittag des ersten Tages stellte Professor Dr. Achilles Koutsouradis in der Neuen Aula der Universität die Aristoteles-Universität Thessaloniki vor und gab anhand und im Angesicht des beeindruckenden Mosaiks von Yiannis Kolefas einen Einblick in die über zweitausenddreihundertjährige Geschichte der Stadt Thessaloniki. In der makedonischen Zeit im Jahr 315 vor Christus gegründet, war die am Meer gelegene Stadt Thessaloniki aufgrund ihrer bedeutenden Lage am Verkehrsweg zwischen Rom und Byzanz in römischer Zeit ein wichtiger Handelsknoten. Seine Bedeutung konnte Thessaloniki auch in der byzantinischen Zeit behaupten und schmückt sich noch heute mit großartig ausgestatteten und erhaltenen Kirchen aus dieser Epoche, die seit einigen Jahren zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören. Vom 15. Jahrhundert bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg stand die Stadt unter osmanischer Herrschaft und wurde nicht nur angesichts des enormen Bevölkerungszuwachses stetig bedeutungsvoller. Heute ist Thessaloniki neben Athen die wichtigste Großstadt Griechenlands. Mit 81.500 Studierenden (bei einer Stadtbevölkerung von ca. 325.000 und ca. 950.000 Einwohnern in der Metropolregion) ist die 1925 gegründete Aristoteles-Universität Thessaloniki nicht nur die größte Universität Griechenlands und des Balkans, sondern auch eine der größten Universitäten Europas.
Am Dienstag unternahmen die Seminarteilnehmer einen ganztägigen Ausflug in die im Nordwesten Griechenlands gelegen Region Epirus. Zunächst wurde das älteste Orakel Griechenlands, das Orakel von Dodona besichtigt. Neben den sakralen Bauten vermittelt besonders das noch sehr gut erhaltene Theater einen Einblick in die griechische Antike, die in Griechenland an zahlreichen Orten immer noch sehr präsent ist. Anschließend wurden die Seminarteilnehmer in der Universität Ioannina anlässlich ihres fünfzigjährigen Bestehens empfangen. In der osmanisch geprägten Stadt Ioannina konnten die Sehenswürdigkeiten der Stadt, wie zum Beispiel die Aslan-Pascha-Moschee oder das Mausoleum für Ali Pascha sodann auf eigene Faust erkundet werden.
Von Mittwoch bis Freitag fand der universitäre Teil des Seminares statt. Im Fakultätssitzungszimmer der Aristoteles-Universität Thessaloniki führten die Professoren die Studierenden aus den jeweils anderen Rechtsordnungen am Mittwochvormittag durch mehrere Vorträge in das jeweilige nationale Familien- und Familienverfahrensrecht sowie das Internationale Familienrecht der Schweiz, Griechenlands und Deutschlands sowie von Zypern ein. Am Mittwochnachmittag, Donnerstag und Freitagvormittag hielten die studentischen Teilnehmer insgesamt mehr als dreißig Referate, durch welche sowohl materiellrechtliche als auch prozessrechtliche, kollisionsrechtliche und internationalverfahrensrechtliche Fragen des geltenden Familienrechts rechtsvergleichend beleuchtet wurden und die zum Teil sehr lebhaft diskutiert wurden. Die Diskussionsleitung übernahmen abwechselnd Professor Dr. Florian Bien, Universität Würzburg, sowie die Professoren Dr. Isaak Meier, Peter Breitschmid und Ingrid Jent-Sørensen von der Universität Zürich sowie PD Dr. Miguel Sogo, ebenfalls Universität Zürich. Schwerpunkte lagen insbesondere bei den Scheidungsgründen und den Scheidungsfolgen, dem in den drei Ländern sehr unterschiedlich geregelten – bzw. nicht geregelten – Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft und der eingetragenen Partnerschaft sowie dem Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Dabei wurde auch über Änderungsmöglichkeiten de lege ferenda diskutiert. Kontrovers erörtert wurde insbesondere auch die Frage, ob die Regelung des Art. 1400 Abs. 1 des griechischen Zivilgesetzbuches, wonach sich der Anspruch auf den Zugewinnausgleich auf ein Drittel beläuft, es sei denn, dass ein größerer, ein geringerer oder gar kein Beitrag nachgewiesen wird, ordre-public-widrig sei. Während die deutschen Teilnehmer, insbesondere Prof. Dr. Michael Sonnentag, dies ablehnten, weil die Regelung geschlechtsneutral formuliert sei und daher im konkreten Fall jeden der beiden Partner treffen könne und statt der Zugewinngemeinschaft auch Gütertrennung vereinbart werden könnte, bei der jeglicher Ausgleich ausgeschlossen sei, neigten die anwesenden Schweizer Professoren eher zu der Ansicht, die Regelung sei ordre-public-widrig, weil im konkreten Fall in der Regel die Frau davon betroffen sei. Für die teilnehmenden Studierenden waren die lebhaften Diskussionen sehr hilfreich zum grundlegenden Verständnis des Internationalen Privatrechts und der jeweiligen anderen nationalen Rechte. Sie förderten die Akzeptanz der jeweiligen abweichend ausgestalteten Regelungen anderer Rechtsordnungen und zeigten die enge Verbindung zwischen kultureller Identität und der Ausgestaltung des jeweiligen Rechts.
Zum Abschluss des wissenschaftlichen Teils des Seminares mussten die studentischen Teilnehmer am Freitagnachmittag in Gruppenarbeit einen komplexen Fall lösen, der sowohl aus griechischer, schweizerischer und deutscher Sicht betrachtet werden sollte. Auf diese Weise konnten die Studierenden ihre neu erworbenen rechtsvergleichenden Kenntnisse sogleich einbringen.
Der offizielle Teil des Seminares wurde am Freitagabend mit einer Einladung zum Abendessen durch den Anwaltsverein Thessaloniki beendet. Die Seminarteilnehmer nutzten das zur freien Verfügung stehende Wochenende, um die Stadt Thessaloniki, zum Beispiel das archäologische und byzantinische Museum sowie weitere berühmte Sehenswürdigkeiten, intensiver kennenzulernen sowie zum Austausch mit den Teilnehmern aus den anderen Ländern.
Nach dem Ende des Seminares können die Teilnehmer auf eine sowohl in akademischer als auch in persönlicher Hinsicht sehr bereichernde Woche zurückblicken. Mit den Kollegen und Studierenden aus den jeweiligen anderen Ländern besteht weiterhin reger Kontakt in Vorfreude auf den kommenden Herbst, da zu Beginn des Wintersemesters 2016/2017 mit sehr großer Wahrscheinlichkeit das nächste deutsch-griechisch-schweizerische Seminar an der Universität Würzburg stattfinden wird.
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