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Prof. Dr. Florian Bien

Kosten-Preis-Schere: Das Gericht der Europäischen Union bestätigt Kommissionsentscheidung gegen Telefónica wegen Missbrauchs ihrer beherrschenden Stellung auf dem Markt für den Breitband-Internetzugang in Spanien

12.04.2012

EuG, Urteil vom 29.3.2012 - Rs. T-336/07 Telefónica und Telefónica de España / Kommission

In ihrer Entscheidung vom 4. Juli 2007 (COMP/38.784 -Wanadoo España gegen Telefónica) in einem Verfahren nach Art. 82 EG (jetzt Art. 102 AEUV) hat die Europäische Kommission festgestellt, dass der ehemalige spanische Staatsmonopolist Telefónica seine marktbeherrschende Stellung auf dem regionalen und nationalen Markt für den Großkunden-Breitbandzugang in Spanien missbraucht hat. Die Spanne zwischen den von ihren Wettbewerbern (u. a. die Beschwerdeführerin Wanadoo España, jetzt France Télécom Espana) verlangten Preise für Großkunden-Breitbandprodukte (vorgelagerter Markt) und den Preisen, die Telefónica ihren Endkunden (nachgelagerter Markt) in Rechnung stellte, reiche nicht aus, um den Wettbewerbern von Telefónica einen wirksamen Wettbewerb mit dieser zu ermöglichen. In diesem Verhalten liege eine unter das Missbrauchsverbot fallende so genannte Kosten-Preis-Schere. Die Kommission verhängte ein Geldbuße in Höhe von 151 875 000 Euro.

Das Gericht bestätigte die Entscheidung der Kommission mit seinem Urteil vom 29.3.2012. Das Gericht folgt in seiner Argumentation im Wesentlichen den Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom 17.2.2011 (Rs. C-52/09 - TeliaSonera). (1) So verwirft das Gericht das Vorbringen der Klägerinnen, die Kommission hätte zur Feststellung des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung durch Telefónica in Gestalt einer Kosten-Preis-Schere nachweisen müssen, dass Telefónica eine beherrschende Stellung nicht nur auf dem Großkundenmarkt, sondern auch auf dem Endkundenmarkt eingenommen habe (Tz. 146 des Urteils). (2) Weiterhin weist das Gericht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des EuGH das von der Kommission beanstandete Preissetzungsverhalten nicht nur dann als missbräuchlich i. S. d. Art. 82 EG (jetzt Art. 102 AEUV) anzusehen ist, wenn die für den Nachweis der Verweigerung eines Vertragsschlusses notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind (Tz. 181). Damit distanziert sich (auch) das Gericht von den entsprechenden Ausführungen der Europäischen Kommission in ihrem Prioritätenpapier (Tz. 75 ff.). Darin behandelt die Kommission den Tatbestand der Kosten-Preis-Schere als Unterfall der missbräuchlichen Lieferverweigerung und unterstreicht die Voraussetzung, dass die Lieferverweigerung ein Produkt bzw. eine Dienstleistung betrifft, das bzw. die objektiv notwendig ist, um auf einem nachgelagerten Markt wirksam konkurrieren zu können (Tz. 83). (3) Das Gericht bestätigt den von der Kommission angewandten Equally efficient competitor Test (Tz. 189 ff.). Es sei zu fragen, ob das marktbeherrschende Unternehmen seine Endkundendienste ohne Verluste hätte anbieten können, wenn es selbst die von seinen Wettbewerbern verlangten Preise für das Vorleistungsprodukt hätte zahlen müssen (Tz. 191). (4) Schließlich bekräftigt das Gericht, dass die Beachtung der von der spanischen Regulierungsbehörde CMT (Kommission für den Telekommunikationsmarkt) auf der Grundlage des Rechtsrahmens (Rahmenrichtlinie) getroffenen Entscheidungen Telefónica nicht vor einem Eingreifen der Kommission auf der Grundlage des Wettbewerbsrechts schützte (Tz. 299). Telefónica verfügte über einen ausreichenden Preissetzungsspielraum, der es ihr erlaubt hätte, dem Vorwurf der Kosten-Preis-Schere zu entgehen. Zum einen habe es Telefónica freigestanden, den Preis des nicht regulierten nationalen Großkundenprodukts herabzusetzen. Zum anderen seien die von der CMT festgelegten Preise für das regionale Großkundenprodukt Höchstpreise, so dass es Telefónica unbenommen gewesen sei, eine Herabsetzung ihrer Preise zu beantragen. Schließlich habe Telefónica ihre ebenfalls nicht regulierten Endkundenpreise ohne Weiteres erhöhen können.

Siehe auch die Pressemitteilung des Gerichts.

Der Tatbestand der Kosten-Preis-Schere ist Gegenstand des Forschungsprojekts Preisbezogene Behinderungsmissbräuche im ökonomisierten Unionskartellrecht.

(FB)

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