Forschungsprojekt Preisbezogene Behinderungsmissbräuche
Preisbezogene Behinderungsmissbräuche im ökonomisierten Unionskartellrecht
Interdisziplinäres Forschungsprojekt
Seit gut zehn Jahren durchläuft die europäische Wettbewerbspolitik einen tiefgreifenden Reformprozess hin zu einem stärker ökonomisierten Verständnis des Kartellrechts (More economic approach). Die Würzburger Arbeitsgruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, diesen Prozess sowohl kritisch als auch konstruktiv zu begleiten. Inhaltlich konzentriert sie sich auf Formen des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs: Kampfpreisstrategien, Preisdiskriminierung, Treuerabatte bzw. -prämien im Ein-Produkt-Fall, Bündel- und Paketrabatte, Kosten-Preis-Schere sowie Bestpreisstrategien. Sie sind u. a. Gegenstand des im Jahr 2009 veröffentlichten Prioritätenpapiers der Kommission. Danach misst die Kommission insbesondere dem „Equally efficient competitor-Test“ große Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmung missbräuchlicher Verhaltensweisen bei. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe widmen sich nicht nur dem Problem, wie missbräuchliche Verhaltensweisen in der Praxis bestimmt werden können. Einbezogen wird auch die Frage nach den Rechtsfolgen. Zum einen gilt es, preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen durch wirksame und angemessene Abhilfemaßnahmen zu begegnen. Zum anderen stellt sich die Frage nach Möglichkeiten des privaten Rechtsschutzes in Fällen preisbezogener Behinderungsmissbräuche. Schließlich gilt es, im Rahmen der präventiven Fusionskontrolle potentielle Behinderungsstrategien der Zusammenschlussparteien zu berücksichtigen. Zu ihrer Verhinderung bietet es sich unter Umständen an, die Einhaltung entsprechender Verpflichtungszusagen der anmeldenden Unternehmen durch Bedingungen oder Auflagen abzusichern.
Im Einzelnen hat sich die Arbeitsgruppe folgende Ziele gesetzt: In einem ersten Schritt gilt es, knapp drei Jahre nach Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung und gut acht Jahre nach Vorstellung des vorbereitenden Diskussionspapiers eine erste kritische Bilanz der Reformbemühungen der Kommission zu ziehen. Dabei geht es zum einen um die Frage, inwieweit die Kommission in ihren jüngeren Entscheidungen den eigenen Ansprüchen gerecht wird. Zum anderen stellt sich die Frage, in welchem Maße die europäischen Gerichte den von der Kommission propagierten stärker ökonomisierten Ansatz mittragen. Nachgegangen werden soll außerdem der Frage, welchen Einfluss die modernen Brüsseler Ansätze auf die Kartellrechtspraxis der Mitgliedsstaaten, insbesondere Deutschlands haben. In einem zweiten Schritt versucht die Arbeitsgruppe, strukturierte Rules of Reason zu entwickeln. Sie sollen es erlauben, Fälle des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs plausibel abzugrenzen und allgemein gültig zu erfassen. Ziel muss es sein, missbräuchliche Verhaltensweisen in der Praxis leichter bestimmbar zu machen und ─ bei gleichzeitig hohem Anspruch an die Rationalität der Entscheidungen ─ die Anwendung von Art. 102 AEUV operabel und justiziabel zu gestalten. Auf diese Weise mögen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe dazu beitragen, das häufig beklagte Defizit an Rechtssicherheit zu verringern und die Effizienz der Kartellrechtsanwendung zu erhöhen.