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Juristische Fakultät

Kongo-Praktika

Deutsch-Kongolesische Zusammenarbeit in Wissenschaft und Praxis

In der Zeit vom 15.08. bis zum 16.09.2023 fand zum zweiten Mal ein Praktikum für Würzburger Studierende der Rechtswissenschaften in der Demokratischen Republik Kongo statt. Die Schirmherrschaft übernahm Frau Dr. Karin Linhart, LL.M. (Duke) als Leiterin des Würzburger Fachsprachenprogramms.

Seit etwa 15 Jahren entwickeln sich im Rahmen der Kooperation der Universität Würzburg und der Universität Kinshasa verschiedene deutsch-kongolesische Projekte in Forschung und Lehre. Im März 2023 eröffnete sich erstmalig die Möglichkeit für eine Gruppe von zehn Jurastudierenden unserer Fakultät bei der Deutsch-Kongolesischen Juristenvereinigung e.V. (DKoJV) ein Pflichtpraktikum nach § 25 JAPO vor Ort zu absolvieren. Darunter: Anwaltskanzleien, Anwaltskammern sowie die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kinshasa und in Lubumbashi. Aufgrund der bereichernden und erfolgreichen Erfahrung für alle Beteiligten, wurde das Projekt nun fortgesetzt und ermöglichte es zwölf Studierenden in die Demokratische Republik zu reisen, um dort ihr Praktikum zu absolvieren.

Vorbereitungen und die Einführung in den afrikanischen Rechtskreis

Vor Beginn der Reise bereiteten sich alle Teilnehmenden auf die kulturellen und akademischen Herausforderungen, unter anderem durch die Veranstaltung „Recht in Subsahara Afrika“ im vorausgehenden Semester, vor. In dieser kamen neben Frau Dr. Linhart überwiegend kongolesische Wissenschaftler und Dozierende zu Wort, die den Studierenden unterschiedlichen Facetten des supranationalen afrikanischen Rechts näherbrachten. In regelmäßige Treffen der Praktikumsgruppe wurden gemeinsam Flüge gebucht, Visa beantragt und ein Beratungs- und Impftermine im Tropenzentrum des Missioklinikums in Würzburg wahrgenommen.

Im August 2023 flogen die Studierenden zusammen mit Frau Dr. Linhart über Istanbul weiter nach Kinshasa, wurden dort von Einheimischen abgeholt und in ihre Unterkunft begleitet. Untergebracht auf dem Gelände eines Nonnenklosters, das zeitgleich als Veranstaltungs- und Tagungszentrum diente, nutzte man die ersten drei Tage zum Akklimatisieren an die klimatischen Verhältnisse, aber auch an die Eigenheiten des Landes und der geschätzten 20 Millionen Einwohner der Stadt Kinshasa. Die Demokratische Republik Kongo, bis 1960 belgische Kolonie, zählt heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Lebensbedingung für die etwa 100 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes liegen weit unterhalb europäischer Standards. So ist beispielsweise das Leitungswasser ungenießbar und sollte auch zum Zähneputzen nicht verwendet werden. Wie sich herausstellte, war dies nur eine von vielen alltäglichen Besonderheiten, an die sich die Studierenden zunächst gewöhnen mussten.

Antrittsbesuche

Nach der Ankunft standen zunächst Antrittsbesuche bei den vier Kanzleien, bei denen später die Praktika stattfinden sollten, auf dem Programm. Auch das kongolesische Nationalmuseum, der Palais de la Nation (Pendant zum Bundeskanzleramt) und das sich davor befindende Mausoleum des ehemaligen Präsidenten Laurent-Desiré Kabila wurden besichtigt. Bei diesen Gelegenheiten machten die Teilnehmenden ungewollt Bekanntschaft mit dem Straßenverkehr Kinshasas, der regelmäßig als einer der schlimmsten Arbeitswege für Pendler weltweit betitelt wird. Für Strecken von unter 10 km brauchte man an manchen Tagen bis zu zwei Stunden und musste so unter anderem den Antrittsbesuch bei einer der Kanzleien absagen.

Am vierten Tag nach der Ankunft stand schon die nächste einwöchige Reise in das 500 km entfernte Kikwit an, ehe das dreiwöchige Kleingruppenpraktikum in den vier Kanzleien in Kinshasa stattfinden sollte. In Kikwit sollte den Studierenden die Funktionsweise und der Alltag einer Juristischen Fakultät in der Demokratischen Republik Kongo nähergebracht werden. Nach einer aufgrund schlechter Straßenverhältnisse in ländlichen Gegenden und Dörfern ermüdenden Tagesreise mit dem Bus, wurde man von einer Delegation Mitarbeitender der Juristischen Fakultät der Universität Kikwit empfangen. Besonders begeistert war die Gruppe von dem lang ersehnte Abendessen, welches im Gästehaus der Universität vom Koch des Universitätspräsidenten zubereitet wurde.

An der Universität Kikwit

Die nächsten Tage waren geprägt vom universitären Alltag. Man bekam eine Führung über das Gelände der Uni, besichtigte unterschiedliche Büros der Universitätsleitung und -verwaltung. In diesem Rahmen fand auch die formelle Begrüßung der Universitäten und der Austausch von Gastgeschenken statt. Besonders faszinierend war dabei die Möglichkeit, das Juristische Dekanat der Universität Kikwit zu betrachten. Dieses befand sich in einem Gang, gemeinsam mit den anderen Dekanaten der übrigen Fakultäten und umfasste lediglich einen Raum, der in etwa die Größe eines durchschnittlichen Büros unserer Fakultät hatte. Gerade im Vergleich zu den Räumlichkeiten unserer Fakultät war es faszinierend, wie die gesamte Leitung der Fakultät inklusive der Sekretärin in diesem engen Raum, in dem sich die Dokumente nur so stapelten, die Geschicke des Fachbereichs leiteten. Auch besuchte man die Baustelle des neuen Gebäudes der Juristischen Fakultät, welches neben Spenden überwiegend aus privaten Mitteln von Herrn Prof. Dr. Manzanza finanziert wird.

Aber nicht nur die Organisation einer kongolesischen Fakultät lernte man kennen, sondern konnte auch in das Studentenleben eintauchen. So wurde eine Vorlesung zum Arbeitsrecht besucht und festgestellt, dass sich Vorlesungen im Kongo gar nicht so sehr von denen in Deutschland unterscheiden: Ein Professor im Anzug hält mit Mikrofon und PowerPoint eine Vorlesung, während die Studierenden idealerweise durchgehend zuhören und sich Notizen machen. Die Würzburger Studierenden durften sich aber nicht nur Vorlesungen anhören, sie hielten auch selbst zwei Deutschkurse. Einer dieser Kurse richtete sich an Neulinge, während eine erheblich kleinere Gruppe mit Grundkenntnissen diese in einem zweiten Kurs vertiefen konnte. Besonders begeistert und amüsiert war man über den Eifer und die Freude, mit der die kongolesischen Studierenden im Chor kurze deutsche Sätze nachsprachen. Auch die häufig anschließende Arbeit in Kleingruppen, um die Aussprache besser zu üben, war für alle Beteiligten eine spaßige Angelegenheit, in der die Kongolesen durch ihre schnelle Lernfähigkeit beeindrucken konnten. Sicherlich hat dabei eine Rolle gespielt, dass die allermeisten der Studierenden mindestens zweisprachig aufgewachsen sind. Denn so existieren in der Demokratischen Republik Kongo neben Französisch noch vier weitere Amtssprachen (Lingala, Kikongo, Tschiluba und Swahili).

Praktische Einblicke und Erkenntnisse der Privilegierung

Für die Würzburger Praktikantengruppe wurden von Seiten der Universität Kikwit aber auch weitere Möglichkeiten geschaffen, die weit über den bloßen Campus hinausgingen. So besuchte man unter anderem das Rathaus der Stadt, einen Marktplatz, ein Amts-, ein Land-, und ein Militärgericht sowie das örtliche Gefängnis und ein Krankenhaus. Durch sämtliche Institutionen bekam man Führungen und ließ sich die Arbeitsweisen erklären. In den Gerichten war man besonders beeindruckt von der noch handschriftlichen Dokumentation und Protokollführung, ebenso wie den circa 25-minütigen Ausführungen eines Oberstaatsanwaltes, der den Studenten einen kurzen Abriss über die Strafprozessordnung der Demokratischen Republik Kongo aus rechtspraktischer Perspektive gab. Im Zuge dessen durfte man auch eine Zelle der Untersuchungshaft auf dem Gelände des Gerichts sehen. In solch einer Zelle dürfen Beschuldigte im Regelfall bis zu 48 Stunden untergebracht werden. Versorgt werden sie in dieser Zeit mangels öffentlicher Mittel nur von Familienmitgliedern, NGOs oder religiösen Einrichtungen.

Neben der Gerichtsverhandlung eines Militärtribunals blieben den Studierenden auch der Besuch des Gefängnisses und des Krankenhauses in Kikwit in Erinnerung. Auch hier bekam man die Abläufe und Funktionsweisen der jeweiligen Einrichtungen genau erklärt. Für das Krankenhaus hatte man zuvor im Namen der DKoJV ungefähr 1250 € gesammelt, um Frauen aus der örtlichen Entbindungsstation auszulösen, die ihre Operationen nicht selbst bezahlen konnten. Sowohl im Krankenhaus als auch im Gefängnis herrschten schlechte Bedingungen: Es mangelte an technischer Ausstattung, Hygiene, Personal und Lebensmitteln, worüber sich auch das Personal bewusst war. Man hatte den Eindruck, dass gerade deswegen die Mitarbeitenden ein umso größeres Mitteilungsbedürfnis gegenüber der deutschen Gruppe hatten, um auf Missstände und die prekäre Situation hinzuweisen und zu sensibilisieren. Gleichzeitig zeigten die Mitarbeitenden aber auch, dass sie das Beste aus den beschränkten Möglichkeiten herausholen konnten. Aber auch ohne die Gespräche mit den Mitarbeitenden hätten die beiden Besuche einen nachhaltigen Eindruck bei den Studierenden hinterlassen. Die Interaktionen waren für die Studierenden merkbar prägende Ereignisse, die einem alltägliche Privilegien in Deutschland vor Augen führten und die Gruppe noch merkbar eine Weile beschäftigten.

Abschied in Kikwit und Beginn der Praktika in Kinshasa

Am Ende der Woche standen neben dem Austausch von Geschenken und der offiziellen Verabschiedung ein von den betreuenden Assistenten an der Uni Kikwit organisierter Abend in einer Bar an. Dabei konnten die Studierenden noch einmal in das kongolesische Nachtleben eintauchen, bevor es am nächsten Tag mit dem Bus zurück nach Kinshasa ging. Dort standen nun drei Wochen Praktikum in den vier Kanzleien an, wobei die Studierenden im Vorfeld die Möglichkeit hatten, zwischen verschiedenen Rechtsgebieten zu wählen: Strafrecht, Kartellrecht, Compliance, Gesellschaftsrecht, internationale Schiedsgerichtbarkeit, Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht. Zur Auswahl standen aber auch für deutsche Juristen eher ungewöhnlichere Themen wie das Minenrecht. Dementsprechend waren auch die Anforderungen an die Französischkenntnisse der Studierenden unterschiedlich stark ausgeprägt, da manche Kanzleien fast ausschließlich mit internationalen Klienten operierten, während andere hauptsächlich im Inland aktiv war. 

Der Kanzleialltag in Kinshasa prägte die nächsten Wochen der Studierenden, die täglich von ihren Kanzleien abgeholt wurden, ihre Tage bei den Anwälten vor Ort verbrachten und wieder zurückgefahren wurden. Vor Ort bekam man die unterschiedlichsten Einblicke und Aufgaben, die auch nach der jeweiligen Praktikumsgruppe stark variierten. In der rechtswissenschaftlichen Methodik spielte vor allem die Rechtsvergleichung eine zentrale Rolle, da auch die kongolesischen Anwälte ein reges Interesse am deutschen Rechtssystem zeigten. Bei der Arbeit konnte man den unterschiedlichen Juristinnen und Juristen über die Schulter schauen und etwas über den Aufbau und die Systematik des kongolesischen Rechtssystem und des Gerichtswesens lernen. Dieses ähnelt sehr den französischen und belgischen Rechtssystemen und verfügt über Gesetze, die rechtsstaatlichen Standards entsprechen – leider oft nur auf dem Papier. Dennoch sind die Strukturen für eine zufriedenstellende Umsetzung stetig im Aufbau. So nahm die Gruppe auch an dieser Stelle bei den Anwälten ein starkes Bewusstsein für die Probleme des Systems und einen ebenso starken Willen wahr, im Rahmen des Möglichen das Beste aus diesem herauszuholen und Veränderungen anzustoßen, was nicht immer möglich schien, in Anbetracht von Armut, fehlenden rechtsstaatlichen Strukturen und Nepotismus.

Gerichtliche Praxis am höchsten Gericht des Landes

Die Gruppen hatten neben der Arbeit in den Kanzleien selbst auch die Möglichkeit diverse Gerichte unterschiedlicher Instanzen zu besuchen, unter anderem auch den Cour de Cassation – ein Äquivalent zum deutschen BGH. Auch wenn das Gebäude von außen nicht beeindruckend erschien, bestätigte sich diese Wahrnehmung nicht im Inneren der Gerichtssäle. Diese waren deutlich pompöser als die in Deutschland üblichen Gerichtssäle. Im weitläufigen Zuschauerraum saß man auf mit rotem Stoff verkleideten Sesseln. Die Verhandlung selbst fand auf einer Art kleinen Bühne statt, die auch mit einem roten Teppich ausgelegt war. Sämtliche Möbel auf der Bühne waren kunstvoll aus einem dunkelbraunen Holz gearbeitet und die Wand hinter dem Gericht war ebenfalls mit diesem Holz verkleidet. Hier konnte man die verschiedenen Eigenheiten einer Gerichtsverhandlung in der Demokratischen Republik Kongo live kennenlernen und war überrascht von den vielen Parallelen, die man zu einer deutschen Gerichtsverhandlung erkennen konnte. Aufstehen bei Gericht, Roben der Anwälte und die Anordnung der Plätze im Gericht kannte man so auch aus Deutschland. Ein Detail fanden die Studierenden doch verwunderlich: Gerichtsverhandlungen in Kinshasa sind nicht auf feste Uhrzeiten terminiert, sondern nur auf einen Tag – eine zuverlässige Pünktlichkeit wäre aufgrund des Verkehrs wohl kaum zu gewährleisten. Die Fälle werden dabei in starrer Reihenfolge aufgerufen, maßgeblich nach dem Dienstalter der verhandelnden Anwälte. In der Folge kamen ältere Kollegen am Morgen und konnten zügig wieder gehen, während jüngere Anwälte teilweise stundenlang vor Ort auf ihre Verhandlung warten mussten.

Aber auch über die bloße Arbeit hinaus kümmerten sich die Kanzleien um die Studierenden. Mittagessen bekam man in den Kanzleien, an den Wochenenden wurden Abendprogramme organisiert sowie eine Safari im Parc de la Vallée de la N'Sele. Auch brachten die Anwälte die Studierenden zu Schneidern, die mit traditionellen Stoffen Kleider und Hemden für die Gruppe fertigten. Zum Abschluss des Praktikums organisierte Fr. Dr. Linhart einen Besuch bei der Deutschen Botschaft in Kinshasa. Vor Ort nahmen sich fünf Mitarbeitende aus diversen Ressorts knapp drei Stunden Zeit für die Fragen der Studierenden und erklärten die grundlegenden Funktionsweisen des Auswärtigen Amtes und einer Botschaft. Zudem sprach man auch über die Eigenheiten und Besonderheiten, die man bei der Arbeit in einem „Krisenland“ wie der Demokratischen Republik Kongo zu beachten hatte.

Fazit

Das Kongo-Praktikum war für die Studierenden eine unglaublich eindrucksvolle und lehrreiche Zeit. Die fast fünf Wochen in einem Land, welches in einer Vielzahl von Aspekten nicht mit einem europäischen Land vergleichbar ist, ließen die Studierenden erschöpft und mit viel Demut zurück nach Deutschland reisen. Die Erkenntnis, dass viele Dinge, die wir für selbstverständlich erachten, es nicht überall auf der Welt sind, hatten die meisten wohl schon vorher. Diese Realität für fünf Wochen zu erleben und mit Menschen zu interagieren, für die das Alltag ist, führt einem die eigenen Privilegien und die Verantwortung, die damit einhergeht, eindrucksvoll vor Augen. Es bleibt der Rückblick auf eine Zeit, in der man viel über ein Land, seine Menschen und sein Rechtssystem gelernt hat. Diese geschaffenen Erinnerungen werden den Teilnehmenden sicherlich ein Leben lang bleiben.


 

Möglich gemacht wurde das Praktikum insbesondere durch die Funktion Frau Dr. Linharts als erste Vorsitzende der Deutsch-Kongolesischen Juristenvereinigung e.V. (DKoJV), die sie 2009 mit einer Vielzahl überwiegend Würzburger Kolleginnen und Kollegen gründete, darunter Prof. Dr. Yves-Junior Manzanza Lumingu, D.E.S. (Kinshasa), LL.M. Eur. Ebenjener kam Ende 2010 nach seinem Jurastudium an der Universität Kinshasa über ein BMBF-gefördertes Forschungsprojekt von Frau Dr. Linhart und Prof. Dr. Jean-Michel Kumbu, LL.M. (Hamburg), an die Universität Würzburg. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Magisterstudiums zum Europäischen Recht an der Julius-Maximilians-Universität promovierte er bei Herrn Prof. Dr. Christoph Weber im Arbeitsrecht. Yves Manzanza ist Professor der Juristischen Fakultät der Universität Kikwit, Dekan der Juristischen Fakultät der Université Nouveaux Horizons in Lubumbashi und als Anwalt tätig.

Studierende aller Fakultäten, die an einem Praktikum Interesse haben, können Frau Dr. Linhart eine unverbindliche Mail mit Angabe ihres präferierten Zeitraums (Mitte August bis Mitte September eines jeden Jahres oder Ende Februar-März ebenfalls eines jeden Jahres), sowie ein paar Angaben zu ihren Sprachfähigkeiten (Englisch/Französisch) schicken. E-Mail-Adresse: karin.linhart@uni-wuerzburg.de